Nimm’s nicht persönlich!

Schon kleine Bemerkungen und Begebenheiten genügen häufig, um uns völlig aus der Fassung zu bringen. Unser Partner, Freundinnen, aber auch völlig fremde Menschen haben die Macht, uns zutiefst zu irritieren. Häufig reagieren wir darauf beleidigt, ziehen uns verletzt zurück und fühlen uns als Opfer. Dabei würden wir so gern mit Gelassenheit und Großmut über vieles hinwegsehen! Aber schon ein kleiner Perspektivenwechsel zeigt: Jeder von uns lebt in seiner eigenen Welt. Und oft hat das Verhalten anderer gar nichts mit uns zu tun …

Andere Menschen sind nicht immer so nett, wie sie sein sollten:

  • Sie drängeln sich vor, hören nicht zu, wenn wir etwas Wichtiges sagen, und vergessen unseren Geburtstag.
  • Sie erinnern sich kaum an unseren Namen, obwohl wir uns zuletzt so lange miteinander unterhalten haben.
  • Die neue Frisur fällt ihnen nicht auf.
  • Sie laden ein paar Freunde ein, aber nicht uns. Und manchmal machen sie uns auch für etwas verantwortlich, für das wir nichts können.
  • Im Streit werden sie ausfällig und sagen Sätze, die so scharf geschliffen und voller Bosheit sind, dass sie uns ins Mark treffen.

Im Wesenskern getroffen?

All das passiert unter Fremden und Freunden, in Familien und Partnerschaften. Und je nachdem, wie tief wir getroffen sind von dem Desinteresse, das wir spüren, von der Herablassung und der Boshaftigkeit, sind wir sauer, traurig, eingeschnappt oder alles drei zugleich. Tagelang können wir grollen. Und noch nach Jahrzehnten die Kränkung in der Magengrube spüren, die uns widerfahren ist.

Der Grund?

Wir nehmen zutiefst persönlich, was andere tun. Ganz so, als seien wir davon in unserem Wesenskern berührt. Wird uns dann noch vorgeworfen, eine „beleidigte Leberwurst” zu sein, ist die Kränkung komplett. Wir igeln uns ein, wir schmollen und beschließen, uns fortan sehr, sehr gut an das zu erinnern, was man uns angetan hat. So gut, dass wir es dem anderen ganz bestimmt bis ans Ende unserer Tage nachtragen.

Wer hat Macht über Dich?

Das Gefühl, gekränkt zu sein, ist universell, jeder  kennt es, schon als Kind kommen wir damit in Kontakt.

Wir fühlen uns verletzt, übergangen, gekränkt und betrogen vom anderen”. „Wir glauben, der andere ist schuld. Er ist verantwortlich dafür, wie wir uns fühlen. Unser Ego will wahrgenommen werden.”

Ganz schön lästig, der Mechanismus. Und ziemlich folgenschwer. 

„Wäre es nicht viel einfacher, die Dinge nicht persönlich zu nehmen? Dann hat keiner Macht über dich. Du bist frei. Du erfährst sehr viel mehr Harmonie und Verbindung mit anderen Menschen.”

Mehr Gelassenheit im Umgang mit Kränkungen wäre tatsächlich ganz wunderbar! Im Alltag werden wir nun mal nicht immer mit Samthandschuhen angefasst, sondern geraten ständig in Situationen, in denen wir das Gefühl haben können, von Feindseligkeit oder Gleichgültigkeit umgeben zu sein.

Ein Experiment wagen

Dass Menschen einander immerzu auf den Schlips treten, zwingt uns allerdings noch lange nicht dazu, fortlaufend zu grollen. Man könnte die Tatsache, dass die Nachbarin mal wieder nicht zurückgrüßt, eine E-Mail uns ziemlich uncharmant auf einen Fehler aufmerksam macht oder der Partner vergisst, nachzufragen, wie die Präsentation gelaufen ist, auch einfach wegstecken. Oder wenigstens: alles nicht ganz so schwer nehmen.

Die Perspektive wechseln

Wir können lernen, unsere Kränkbarkeit runterzudimmen. Aber wie?

Zum Beispiel durch einen Perspektivwechsel. Wie in allen Konflikten mit unseren Zeitgenossen hilft es, die Enge der eigenen Wahrnehmung zu verlassen und sich in sie hineinzuversetzen.
Statt uns auf uns selbst zu fokussieren, fragen wir uns, was hinter der Unfreundlichkeit der Nachbarin stecken könnte. Vielleicht erkennt sie uns nicht, weil sie kurzsichtig ist. Oder: Sie hat unseren Gruß nicht gehört. Vielleicht ist sie ein sorgenvoller, stark auf sich selbst bezogener Mensch. Oder sie findet, dass einander nur grüßen sollte, wer schon mal miteinander gesprochen hat. Sie könnte auch schüchtern sein und schwierig im sozialen Kontakt.

Es hat nichts mit uns zu tun

All das zeigt: Das Verhalten der Nachbarin hat mit allergrößter Wahrscheinlichkeit gar nichts mit uns zu tun, sondern mit ihr selbst. Es gibt keinen Grund, daraus zu schließen, wir seien ihre Aufmerksamkeit nicht wert. Wir sind es natürlich – sie kriegt es nur nicht mit.

Indem wir fragen, was hinter dem Verhalten anderer stecken könnte, zollen wir der Tatsache Tribut, dass jeder Mensch in seiner eigenen Wirklichkeit lebt und hin und wieder darin gefangen bleibt. Trainieren wir – nach dem Motto „im Zweifel für den Angeklagten – die Intention der anderen zu sehen, schaffen wir „Raum für Verstehen statt Raum *für Irritation”.  

Jeder ist im eigenen Film

Viele Kränkungssituationen lassen sich durch einen solchen Perspektivenwechsel entschärfen. Der Autofahrer, der mit Lichthupe zu nah auffährt. Der Partner, der nicht zuhört. Die Freundin, die nicht anruft. Die Kollegin, die schnippische E-Mails schreibt: vielleicht alles Menschen im Totalstress.  Zu sehr mit sich selbst beschäftigt, zu sehr im eigenen Film, um beim anderen zu sein.
Oft genügt da ein Stups und ein “Hier bin ich”, um die Sache auf den richtigen Weg zu bringen, statt sich in endlosen Kränkungs-Spiralen zu verlieren.
Spüren wir allerdings, dass wir mit dieser Strategie nicht weiterkommen, weil das Gefühl der Kränkung einfach nicht weichen will, ist es gut, einmal genauer in uns hineinzuhorchen. Denn Häufigkeit und Ausmass, in dem wir gekränkt sind, verrät uns eine ganze Menge über uns selbst.

„Selbstzweifel, soziale Ängste und Unsicherheit sind ein Nährboden für Kränkbarkeit” “, schreibt die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki in ihrem Buch „Nimm es bitte nicht persönlich” – der gelassene Umgang mit Kränkungen” (Kösel Verlag, 112 Seiten ) „Kränkbare Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie alles Negative auf sich beziehen. Sie beobachten ihre Umwelt sehr sorgfältig und registrieren jede negative Regung. Sie fühlen sich ständig schuldig, auch wenn sie es nicht sind. Sie sind meist selbstunsicher und haben Angst.” Während selbstbewusste Menschen die Welt in einem positiven Licht sehen, sind die Kränkungsanfälligeren von uns auf der Hut. Sie fürchten Gefahr. Und manövrieren sich so in eine problematische Opferrolle hinein. Ihnen rät Wardetzki, sich den eigenen Anteil am Kränkungs-Konflikt einzugestehen, „nur dann können sie ihn befriedigend lösen”.

Wunde Punkte

Besonders kränkbar sind wir an Stellen, die mit schlechten Erfahrungen verbunden sind. „Der wunde Punkt bildet sich da, wo erlittene Kränkungen und Verletzungen nicht verheilt sind und durch neue Erlebnisse jederzeit aktiviert werden können”, so Wardetzki. Darum ist es klärend, den wunden Punkt herauszuarbeiten, den die Kränkung berührt. Und zu überlegen, welche alte Wunde hier hervorbricht.

  • Warum ärgern wir uns so?
  • Welcher Schmerz wird berührt?
  • Haben wir vielleicht wieder und wieder das Gefühl, übersehen zu werden, weil wir in unserer Kindheit auch dann keine Beachtung fanden, wenn sie bitter nötig gewesen wäre?
  • Wurden die Zweifel an unserer Attraktivität, unserem Können, unserer Intelligenz gesät, lange bevor unser Partner einen Haarschnitt nicht bemerkt?
  • Sind wir uns selbst vielleicht ein so unbarmherziger Kritiker, dass die Lichthupe des Autofahrers, der von hinten auffährt, mitten hinein leuchtet in den Abgrund unseres Selbst?